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Dieses Thema hat 2 Antworten
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Michael aus Zofingen Offline



Beiträge: 273

24.07.2011 10:55
Ein Paradies aus Menschenhand Zitat · Antworten

Dieser Beitrag hat mit kurzen Hosen überhaupt nichts zu tun, wenn man von der Tatsache absieht, daß ich während des beschriebenen Zeitraums kein einziges Mal lange Hosen getragen habe. Daher erscheint der Beitrag im Offtopic-Bereich:

Nur ca. 5 km von Zofingen entfernt liegt das Wasserkraftwerk Ruppoldingen. Es handelt sich um einen Neubau, der vor ca. 10 Jahren anstelle eines alten Wasserkraftwerks errichtet wurde. Nicht nur die alten Anlagen wurden abgerissen, sondern der Oberwasserkanal, durch den das Wasser für die Turbinen des alten Kraftwerks floß, wurde durch ein Wildwasser ersetzt, während die Hauptwassermenge nun durch die „richtige“ Aare fließt. Die Aare selbst ist an dieser Stelle auch kein kanalisierter Graben, sondern in einige Arme aufgespalten, bevor sie sich vor Aarburg wieder vereinen.

Sicher war es das Hauptanliegen der Kraftwerkbetreiber, durch den Neubau mehr Gewinn zu erzielen. Die Renaturierungsarbeiten wurden den Betreibern sicher vom Staat auferlegt. Daß aber durch den Kraftwerksbau die Barfüßerdichte in diesem Bereich erhöht wurde, stand sicher nicht im Kalkül, das ist so ganz nebenbei entstanden. Unmittelbar unterhalb des Kraftwerks hat sich Sand am Ufer abgelagert, so daß ein Sandstrand entstanden ist. An schönen Sommertagen tummeln sich etliche Leute hier zum Baden. Aber auch dann, wenn das Wasser der Aare noch nicht zum Baden einlädt, entledigen sich manche Leute ihrer Schuhe (oder sie kommen sogar gleich ohne – nicht nur ich). Leider ist dieser Sandstand manchmal recht überfüllt, er wird zum Drögelen, Feuer anmachen, als Müllkippe usw. mißbraucht. Manche „Gäste“ nehmen sogar ihre elektrischen Abspielgeräte mit und drehen sie auf volle Lautstärke. Im Volksmund spricht man schon von der „Copacabana Ruppoldingiensis“.

Vor einer Woche (Freitag nach der Arbeit, Samstag) war ich wieder einmal in der Nähe, allerdings ca. 300 Meter aareabwärts. Wie anders ist es hier! Leute verirren sich kaum hierher, weil es keine durchgängigen Wege gibt, nur Trampelpfade. Dafür haben sich hier Biber angesiedelt, die ihre Spuren hinterlassen haben. Einige der Biberspuren, nämlich die hinterlassenen spitzen Stümpfe der von ihnen gefällten Bäume, sind alles andere als barfußfreundlich. Dafür sind die Wege der Biber, die sie durch den Unterwuchs geschaffen haben, Pionierleistungen für barfüßige Menschen. Kein Biber käme auf die Idee, die Pfade gleich fies zu schottern. Wozu auch? Biber sind doch selber barfuß, oder hat jemand schon mal einen fett beschuhten Biber gesehen? Ich habe bisher nur einmal einen in der Aare schwimmenden Biber gesehen, und an diesem Wochenende habe ich keine gesehen, vermutlich aber gehört (ich hörte, wie sich ein Tier durchs Schilf etwa 5 Meter ins Wasser bewegte).

Am Freitag war ich damit beschäftigt, die Biberwege barfuß zu erkunden, wobei ich auch über schmale Wasserarme der Aare watete oder schwamm. Meinen Schlafsack hatte ich am Wildwasser deponiert, hier wollte ich übernachten, nicht zu Hause. Als es dunkel wurde, schwamm ich auch mal in der „richtigen“ Aare. Das Wasser war warm, die Luft relativ kühl (ca. 11°C), so daß sich Nebelschwaden über dem Fluß bildeten. Richtig romantisch, unter solchen Bedingungen zu schwimmen. Ich schwamm bis zur Autobahnbrücke, dort schwamm ich an Land. Ich wußte, daß man von hier über Trampelpfade zum Schlafsack kommen konnte. Im Dunkeln (und ohne Brille, die ich beim Schwimmen nie trage) sah das ganze etwas anders aus. Ich mußte mich vorsichtig vortasten. Dabei hätte ich mich bei den recht kühlen Lufttemperaturen lieber schneller bewegt, denn ich war alles andere als übermäßig winterlich gekleidet. Die Nacht im Schlafsack war recht romantisch, das Plätschern des Wildwassers (Wiegenliedersatz), der Mond am klaren Himmel. Nur die Geräusche von der 4radbahn störten.

Samstags morgens verließ ich das „Paradies aus Menschenhand“, aber nur kurz zum Einkaufen, dann radelte ich zurück. Diesmal erkundigte ich mehr das Wildwasser selbst. Über längere Strecken schwimmen kann man dort nicht, es ist zu flach. Der Untergrund ist meist steinig, die Steine sind recht glatt, aber nicht spitz. Und Scherben liegen dort auch nicht drin. Überall liegen aber auch große Steine, die teilweise aus dem Wasser ragen, teilweise knapp unter der Wasseroberfläche liegen. An anderen Stellen sind Arme des Wildwassers recht schmal, so daß das Schilf wie ein Torbogen das Wasser verbirgt. So ist es möglich, selbst bei starker Sonnenstrahlung im Schatten zu sein, kann auf einem großen Stein sitzen und die Beine ins Wasser hängen lassen. Man spürt, wie das blasenreiche Wasser durch die Zehen und sonst was sprudelt. Wenn man so nah am Geschehen ist, dann wird sogar der Lärm der 4radbahn übertönt. Das ist Wellness pur – und gratis! Anderswo ist so etwas nur für teures Geld möglich, während sich die Wellness-Anbieter einen goldenen Arsch verdienen. Ich verzichte absichtlich auf nähere geographische Angaben. Denn ich möchte weder, daß dieses Gebiet von Gesocks in Beschlag genommen wird, noch von profitgierigen Wellness-Anbietern, die sich das Gelände unter den Nagel reißen (gegenwärtig gehört sich das Gebiet den Stromproduzenten).

Auch die nächste Nacht wollte ich hier verbringen. Diesmal war es aber fast eine Tropennacht (ca. 18°C), ein typischen Zeichen für einen baldigen Wetterumschwung. Bei Einbruch der Dunkelheit schwamm ich wieder durch die richtige Aare, genau dieselbe Strecke. Diesmal keine Nebelschwaden. Dafür konnte ich erkennen, daß an der „Copacabana Ruppoldingiensis“ noch Betrieb herrschte: Laute Dudelmusik, die teilweise noch übertönt wurde von Geschrei nicht mehr ganz nüchterner Zeitgenossen. Auch wurden Fackeln geschwungen. Das ist alles nichts für mich, ich ließ mich von der Aare treiben. Diesmal hatte ich an Land auch kein Verlangen, mich dort schnell zu bewegen, im Gegenteil. Ich genoß den Boden unter den nackten Füßen und das warme Lüftchen auf der Haut. Ich hatte das Verlangen, noch ein zweites Mal die Strecke zu schwimmen _ und ich tat es!

Eine ruhige Nacht hatte ich nicht. Aber es war eher das Gefühl der „positiven Unruhe“. Mein Zeitgefühl hatte ich verloren. Selbst wenn ich die Armbanduhr umbehalten hätte, ich hätte im Dunkeln die Uhrzeit nicht ablesen können. Immer wieder kroch ich aus dem Schlafsack, ging ein Stück spazieren oder auch mal ins Wasser. Als ich glaubte, daß es im Osten heller zu werden schien, kroch ich wieder einmal aus dem Schlafsack und entfernte mich. Ich schritt zur mittlerweile menschenleeren „Copacabana Ruppoldingiensis“, die einer Müllkippe glich. Auf dem Weg zum Parkplatz mußte ich einen im Sturm umgewehten Baum mit vermoostem Stamm überwinden, was barfuß auch im Dunkeln (und ohne Brille) recht gut ging. Mein Velo stand unbeschädigt dort, wo ich es abgestellt hatte. Ich aber ging weiter, vorbei am Restaurant Aareblick, in dem längst Feierabend war, und dann die Treppe zur Aare, nur knapp 50 Meter vom Stauwehr entfernt. Ich ging ins Wasser und wünschte, die Zeit würde stehen bleiben. Aber sie blieb es nicht, genauso wenig wie die Aare. Sie zog mich fort, vorbei am verwaisten Badestrand, vorbei an romantischen Aareinseln, die 4radbahnbrücke kam in Sicht. Und auf der Offtopic-Strecke rollte ein ebensolches Fahrzeug (genauer: ein ebensolcher Fahrzeugverband) in Richtung Bern. Dann schwamm ich an Land und ging zurück zu Schlafsack. Mittlerweile war es nicht mehr dunkel, aber die Sonne schien noch nicht.

Irgendwann war es so hell, daß ich nach meiner Armbanduhr suchte. Es war 6.30 Uhr, im Westen waren dunkle Regenwolken sichtbar. Ich rollte meinen Schlafsack zusammen, zog Velokonforme Kleidung an und begab mich zum Velo. Mittlerweile hatte ein fett beschuhter, belanghoster und bemützter Angler den Badestrand zum Angelstrand umgenutzt. Beim Überwinden des Baumstamms sah ich, daß sich ein Flipflop (keiner aus Plastik, sondern ein „edler“ aus Leder) im Geäst verfangen hatte. Hatte ihn etwa einer der angeheiterten Strandbesucher verloren? Ca. 30 Meter weiter, in der Nähe meines Velos, lag der „Bruder“. War etwa der Besitzer der „edlen Dinger“ von hier aus barfuß (sogar „echt“ barfuß) bis zum Auto gegangen. Oder war er unbeschuht mit dem Velo oder Töffli von dannen gefahren? Ich werde es nie erfahren. Und ehrlich gesagt: Mich interessiert es auch gar nicht. Ich schwang mich auf mein Velo und radelte barfuß nach Hause. Die Luft wurde kälter und etwa 30 Minuten, nachdem ich zu Hause angekommen war, setzte der Regen ein – und wie! Er spülte alles Mögliche weg, aber nicht die Erinnerungen an den schönen barfüßigen Aufenthalt im „Wildwasserparadies von Menschenhand“.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen

Henning Offline



Beiträge: 654

29.07.2011 09:45
#2 RE: Ein Paradies aus Menschenhand Zitat · Antworten

Vielen Dank für den stimmungsvollen Bericht!
Man kommt richtig auf den Geschmack!

Gruß
Henning

Peter Pan Offline



Beiträge: 913

29.07.2011 13:28
#3 RE: Ein Paradies aus Menschenhand Zitat · Antworten

Hallo Michael,

Vielen Dank für deinen tollen und abwechslungsreichen Bericht aus einer Gegend, die ich von der N1/2 aus kenne!
D.h. - leider kenne ich sie (noch) nicht, werde aber mal dorthin gehen und alles genauer erkunden!
Natürlich verrate ich die Koordinaten nicht - denn sonst ist es dort bald nicht mehr so schön und von den "Homo sapiens" unberührt! Nein, lieber Biberspuren als Müllhaufen!

Nun, von meinem Wohnort aus bin ich etwa 45 Auto - Minuten entfernt - per Bahn dauert's einiges länger!

Beste Grüsse aus der Schweiz Peter

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