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 Euer Leben in kurzen Hosen
Michael aus Zofingen Offline



Beiträge: 273

26.09.2010 12:24
Arc jurassien Zitat · Antworten

Am 25.-26. September 2010 gab es einen Publikumsanlaß „Arc jurassien: 150 Jahre Eisenbahn“. Da wollte ich auch hin, denn immerhin kostete das ganze für einen Tag nur 20 SFR ab Zofingen für den Besitzer eines Halbpreisabos. Es wurde viel angeboten, so daß ich die Qual der Wahl hatte. Eines war sicher: Ich wollte mich an jenem Anlaß weder mit fetten Schuhen, noch mit langen Hosen abschleppen.

Ich begab mich barfuß, in kurzen Hosen und im blauen Träger-T-Shirt (eine Regenjacke hatte ich im Rucksack, denn der Wetterbericht hatte kein beständiges Wetter vorausgesagt) bei bedecktem Himmel und +10°C mit dem Fahrrad zum Zofinger Bahnhof, um um 6.14 Uhr mit der S-Bahn nach Olten zu fahren. Ein Analytik-Laborant (er hatte Nachtschicht gehabt und wollte nun nach hause) traf mich auf dem Bahnhof und wir fuhren gemeinsam bis Olten. Der Laborant fragte mich, ob es nicht allmählich zu kalt wäre, um ohne Schuhe unterwegs zu sein. Er wußte, daß ich außerhalb der Arbeit weniger trage als während der Arbeit, ebenso wußte er über meinen Ärger mit „Dr. Simpel“ gerade wegen dem. Wir unterhielten uns noch über die im Syntheselabor obligatorischen (langen) blauen Arbeitshosen und daß man beabsichtigt, im Analytiklabor auch eine spezielle Arbeitkleidung zu erfinden, allein mit dem Ziel (wie er sagte), bei gleich langer Arbeitszeit gemäß Stempeluhr die Präsenzzeit in der Firma zu erhöhen.

In Olten wollte ich mit dem ICN bis Biel fahren. Vorher fuhr aber noch ein Sonderzug ab, der jedoch für Generalabo-Besitzer reserviert war (dann wäre ich auch später in Biel gewesen). Dieser Zug wurde von einem rauchenden Offtopic-Fahrzeug gezogen. Während ich die Abfahrt des Zuges abwartete, starrten einige Kinder im Sonderzug gebannt (oder gelangweilt, weil sie das mitmachen MUSSTEN, wozu eigentlich nur der Papi Lust hatte?) auf meine nicht vorhandene Fußbekleidung und/oder auf meine nicht übermäßig bedeckungsreiche Bein- und Armbekleidung. Keinen Erwachsenen störte es. Der Lokführer in der Dampflok rauchte übrigens eine Zigarette, wie der Meister, so der Hund. Ein Lokführer in der E-Lok muß sich halt mit elektrischen Zigaretten begnügen.

Im Zug nach Biel war ich übrigens nicht der einzige Barfüßer (vermutlich aber der einzig echte Barfüßer, „vermutlich“ deswegen, da ich nicht durch den ganzen Zug gegangen bin). Kaum hatte ich Platz genommen, da zogen auch eine Gruppe aus zwei ca. 25jährigen Frauen und einem Mann im gleichen Alter (sie befanden sich schon vorher im Zug) die Schuhe aus, jedoch nicht die Socken. Eine der Frauen trug nur Sandalen ohne Socken, während die Fußbekleidung der anderen beiden deutlich fetter war. Der Mann sagte zur „unechten Barfüßerin“: „Hier stinkt es nach Käse, das sind deine Füße!“ Darauf die angesprochene: „Nein, das sind eure Socken!“ Ich mußte schmunzeln, mischte mich aber nicht ein.

Von Biel weiter nach La Chaux-de-Fond, umsteigen nach Le Locle, dann wider umsteigen. Wie war ich doch froh, daß der TER-Zug (für den galt die Fahrkarte auch) nach Besançon-Viotte tatsächlich auf dem Bahnsteig stand und auch pünktlich um 8.20 Uhr abfuhr. Immerhin hatten die französischen Bähnler tags zuvor noch gestreikt. Im französischen dieselbetriebenen Zug nahm keiner Anstoß an meiner Aufmachung. Der moderne Triebwagen schlängelte sich durch die herrliche Juralandschaft, leider bei sehr schlechter Sicht, über eine Strecke, die ich noch nie befahren habe (die einzigen Offtopic-Fahrzeuge auf französischem Gebiet benutzt habe, waren die Straßenbahnen in Mülhausen, die S-Bahn von Basel nach Mülhausen sowie die Basler Tramlinie 10, die auch über französisches Gebiet führt).

Um 10.01 Uhr erreichte ich den Bahnhof Besançon-Viotte, um 11.10 Uhr würde erst der Anschlußzug fahren. Nicht so schlimm, denn in Besançon war ich noch nie. Also begab ich mich in die durchaus sehenswerte Stadt am Doubs. Kaum hatte ich den Bahnhof verlassen, kam ein Polizeifahrzeug und hielt an. Das hatte mir ja noch gefehlt. Aber die Polizeischergen hatten es nicht auf meine Füße, noch auf meine Beine, noch auf mich überhaupt abgesehen, sondern es ging um die Verkehrregelung. Der Asphalt in dieser Stadt war weniger barfußfreundlich als in vielen Schweizer Städten, aber die Platten in der Fußgängerzone waren sehr angenehm zu begehen, wenn auch etwas glitschig, da sie naß waren. In der Stadt war ich der einzige ohne Schuhe, auch trugen nur relativ wenig Frauen Schuhe ohne Strümpfe (Männer überhaupt nicht). Männer in „echten“ kurzen Hosen waren nur wenige, in „unechten“ dagegen etliche. Während ich durch die Altstadt ging, hörte ich mehrfach aus Kindermund (Elternschund?) etwas wie „pieds nus“ oder so ähnlich. Was mich an Besançon stört ist der viele Autoverkehr und die vielen 4radfreundlich und fußgängerfeindlich geschalteten Ampeln in der Innenstadt. In Schweizer und deutschen Städten vergleichbarer Größe hätte man längst barfußfreundliche Unterführungen gebaut.

Weiter ging es im recht vollen TER-Zug (in dem erstaunlich(?) viele Leute schweizerdeutsch redeten, sie taten dasselbe wie ich) nach Mouchard, wo ich um 11.39 Uhr ankam. Um 14.55 Uhr bestand erst Anschluß. Solange mußte ich mich in diesem Kaff rumschlagen. Zwar hat es eine recht hübsche Kirche und ein paar alte Häuser, aber die Trottoirs in vielen Straßen waren baustellenbedingt reine Schotterpisten, noch dazu aus scharfem Juragestein. Und auf der Straße fuhren doch recht viele Autos. Die Bahnsteige des Bahnhofs waren aus ziemlich rauhem Asphalt, und die Unterführungen zu den verschiedenen Bahnsteigen des Keilbahnhofes waren auch nicht kundenfreundlich (Wer vom Bahnschalter im Gebäude zum Nachbarbahnsteig wollte, mußte erst über den Hausbahnsteig ein ganzes Stück zum Tunnel gehen, und dann über den Nachbarbahnsteig wieder genauso weit zurück. Nur ein kleiner Teil des Bahnsteigs ist überdacht. Es fehlt ebenso ein direkter Zugang vom Bahnsteigtunnel zur Straße, obwohl dieses für die Bewohner im Dorfkern eine erhebliche Abkürzung bedeutet hätte. Viele französischen Dorfbahnhöfe befinden sich noch in einem Zustand aus einer Zeit, als die Bahnbetreiber „kleine Könige“ waren, die Bahnhöfe „Festungen“, die der „Untertan Passagier“ nur über eine Sperre mit Fahr- oder Bahnsteigkarte betreten durfte. Die Sperren gibt es nicht mehr, aber anstatt wie speziell in der Schweiz hat man die Bahnhöfe lieber verlottern lassen als sie dem „König-Kunden-freundlich“, d.h. kurze Wege zum anderen Bahnsteig, zum Bus usw. zu gestalten. Manche Bahnhöfe auf den französischen Jurastrecken sind derart verlottert, daß selbst Lohmen im Vergleich dazu ein reiner Prachtbahnhof wären (mit dem Preis, daß man in Lohmen wegen barfuß/kurzer Hosen leichter Ärger mit der Polizei bekommt, das mußte – wieder einmal – gesagt werden.). Vielleicht ändert sich ja demnächst auch in den französischen Kaffbahnhöfen etwas. Die modernen TER-Triebwagen mit den barfußfreundlichen Böden sind vielleicht der Anfang der französischen Bahnrenaissance im sonst so 4radorientierten Frankreich. Leider ist der Begriff „Abstruslingen“ bereits für eine Große Kreisstadt zwischen Stuttgart und Plochingen reserviert und markenrechtlich geschützt. Ansonsten hätte Mouchard diesen Titel verdient. Ehrlich gesagt: Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich in Mouchard sofort Anschluß gehabt hätte und dafür einen längeren Aufenthalt in Besançon gehabt.

Der Anschlußzug nach Pontarlier war pünktlich, und sehr viele Leute, die bereits im Zug von Besançon nach Mouchard kamen, fuhren mit diesem Zug weiter. Auch die Bahnsteige des Bahnhofs Pontarlier waren nicht besonders barfußfreundlich. Auch goß es in Strömen, daß ich nicht in die nahe Altstadt ging (ich hatte keine Lust, die Regenjacke aus dem Rucksack zu kramen, immerhin war es hier deutlich kälter als in Besançon, in Mouchard und später in Neuenburg. Auf dem Bahnhofsvorplatz war eine kleine Dampflok aufgestellt, im Bahnhofssaal war eine Modellbahn und sonstiges Offtopic-Fahrzeugspezifisches zu sehen. Eine vermutlich französische Trachtengruppe starrte auf meine nicht übermäßig winterliche Aufmachung, und ein alter Mann stellte (auf Schweizerdeutsch) die berühmt-berüchtigte „K-Frage“. Trotz des Regens verging die Wartezeit recht schnell. Denn immerhin konnte ich vom überdachten Bahnsteig mit meiner nicht-malo-konformen Kamera die Einfahrt eines von einer E-Lok und einer deutschen Dampflok gezogenen Extrazugs aus der Schweiz fotografieren. Und dieser Zug brachte mich über eine Strecke, auf der sonst nur wenige TGV fahren nach Les Verrières in der Schweiz. Auch hier gab es einiges zu sehen, unter anderem kam ein weiterer Dampfzug an.

Diesen Dampfzug bestieg ich. Die Beschilderung war nicht gerade schweizerisch genau, so daß es vielfach Zwischenfragen gab, wohin der Zug nun fahren würde. Er fuhr dorthin, wo ich (und die meisten anderen) auch hin wollten, nach Neuenburg durch das Val des Travers. Gleichzeitig fuhr der andere Dampfzug wieder ab in Richtung Pontarlier. Es stellte sich heraus, daß die Leute, die in meiner Nähe saßen, recht international waren. Eine über 60jährige Frau aus dem preußischen Berlin ist im (zeitweise auch preußischen) Neuenburg hängen geblieben, weil sie dort ihren Mann, der ebenfalls dabei war, kennen gelernt hatte. Dann war da eine ebenso alte Frau aus Basel und ein jüngerer Mann aus Hannover, der aber in Husum zur Schule ging und nun in der Ostschweiz hängen geblieben war. Dazu paßte ich als in der Hamburger Gegend aufgewachsener nun in Zofingen hängen gebliebener Mensch auch dazu. Meine Aufmachung wurde erst später thematisiert, bei der Gelegenheit hatte ich noch Barfuß- und kurze-Hosen-Flyer verteilen können. Alle sahen es positiv. Auch wunderten sie sich, wie gut ich mich in der Schweiz auskannte. Ich erzählte von Treffen mit anderen Barfüßern, von Ärger mit Polizisten usw. Viel zu schnell verging die interessante Dampffahrt durch das Val des Travers.

In Neuenburg sah ich mir auch noch die Ausstellung an, ging auch noch zur „Bergstation“ der „Funambule“, einer innerstädtischen unterirdischen Standseilbahn. Hier stiegen doch prompt Leute mit Handschuhen und Mütze aus, während es andererseits auch etliche junge Frauen gab, die sokkenlos in Sandalen unterwegs waren, meist in Kombination mit langen Hosen, manche aber auch in kurzen Röcken. Es gab auch einige Männer in mehr oder weniger kurzen Hosen, meist fett beschuht und besokkt, manche aber auch nur beschuht. Und andere Barfüßer? Es gab tatsächlich einen, der, noch dazu bekurzhost (aber im Gegensatz zu mir belangärmelt) im selben Zug, wenn auch im anderen Zugteil nach Buttes und wieder zurück nach Neuenburg fuhren, ohne das mitbekommen zu haben. Erst auf der Treppe kam es zu einer Begegnung. Es war Leo. Es verbleib nur wenig Zeit, er wollte weiter nach Zürich, und ich wenige Minuten später nach La Chaux-de-Fond über die Strecke mit der Spitzkehre im Wald. So trennten sich am Bahnsteig wieder unsere Wege. Man trifft auch immer dieselben Barfüßer zufällig. Ich traf Leo bereits zum dritten Mal zufällig, und immer an einem Bahnhof, in Schaffhausen, in Andermatt und nun in Neuenburg.

In La Chaux-de-Fond hatte ich sofort Anschluß an den Zug nach Biel. In diesem Zug saß ein Pärchen, beide tranken Bier. Der junge Mann war fett beschuht, die Frau hockte im Schneidersitz auf dem Sitzpolster, die dünnen Stoffschuhe standen unterhalb des Sitzes. Da sie einen dicken Wollpullover und eine Mütze und eine lange Hose aus dickem Stoff trug, würde man wohl auch dicke Socken erwarten. Dem war aber nicht so! Plötzlich stand sie auf und begab sich auf die Toilette, und zwar barfuß. Die Schuhe ließ sie am Platz stehen, ECHT stark. Sie kam zurück, in St. Immer stiegen sie aus. Die Frau ließ die Schuhe diesmal nicht am Platz stehen – leider! Ich hätte sie gewiß nicht wegen Verunreinigung des Zuges verzeigt! Als die beiden ausstiegen, wünschte sie mir noch freundlich lächelnd (auf Französisch) einen guten Abend, und ich antwortete mit: „Au revoir!“

In Biel bestand sofort Anschluß nach Olten, von dort weiter mit der S-Bahn nach Zofingen und mit dem Velo bei +9°C und trocknem Wetter nach Hause. Auch wenn das Wetter nicht gerade ideal war, so hat mir dieser komplett barfüßige und bekurzhoste Tag in Schweizer und französischen Offtopic-Fahrzeugen in der Juragegend sehr gefallen. Das Bahnfahren war mir lieb und (ausnahmsweise) nicht einmal teuer.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen

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