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 Euer Leben in kurzen Hosen
Michael aus Zofingen Offline



Beiträge: 273

18.11.2011 05:20
Fünf Jahre danach Zitat · Antworten

Samstag 15.10. 2011: Genau 5 Jahre und einen Tag ist es her, daß ich in einer Stadt war, die eigentlich schön ist, nicht nur wegen der Existenz eines Straßenbahnsystems. Und trotzdem habe ich in dieser Stadt negative Erfahrungen gemacht, worüber ich im „alten gelben Barfußforum“ auch berichtet habe. Wie ich unter anderem barfuß und in kurzen Hosen entlang der Straßenbahnstrecke wanderte, irgendwann von Polizisten aufgegriffen wurde, ins Polizeifahrzeug verfrachtet wurde, in die Polizeistation gekarrt wurde, dort von mehreren Polizisten auf erniedrigende Weise befragt wurde und zu „guter“ Letzt noch ins Spital gefahren wurde (die Rechnung, die mir Monate später für die Fahrt im Kranken4rad per Post zugestellt wurde, habe ich bis heute nicht bezahlt). Was mich damals befremdete, war auch die Reaktion fast aller „blauen“ Teilnehmer im alten Forum, die der Meinung waren, daß die Polizei mir gegenüber zu milde reagiert hat, während die „roten“ Teilnehmer sich teilweise neutral verhielten, teilweise sogar auf meiner Seite standen. Die Zeiten sind vorbei, und nach 5 Jahren dürfte auch die nicht bezahlte Rechnung verjährt sein. Also wollte ich wieder mal in diese Stadt.

Die Rede ist von der Stadt „Milhüsa“, wie sie in der „Eingeborenensprache“ heißt, oder „Mulhouse“ in der Amtssprache oder „Mülhausen“ auf gut deutsch. Denn seit 5 Jahren hat sich auf dem Offtopic-Fahrzeug-Sektor so einiges getan:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenbahn_Mulhouse

Ich radelte also morgens in Zofingen los, barfuß, in kurzen Hosen und ohne Mütze (bis Basel benötigte ich noch die Trainingsjacke). Mein Weg führte über den Grenzübergang in St. Louis nach Hüningen, um dann dem Veloweg parallel zum Kanal bis Illzach zu fahren. Dort endete der Veloweg. Ich versuchte es zunächst, von dort südlich der Eisenbahngleise auf einem Feldweg zum Hauptbahnhof in Mülhausen zu gelangen, aber der Weg endete irgendwo. Dort spielten übrigens Kindert, von denen ein Knabe kurze Hosen in Kombination mit Sockenlosigkeitvortäuschsocken und Turnschuhen auf einer Art Mountainbike fuhr (seine Kumpel waren deutlich winterlicher vermummt). An diesem Tag hatte ich lediglich ein paar Jogger und Rennvelofahrer am Kanalweg in kurzen Hosen gesehen, barfuß war bisher keiner. Von den miteinander spielenden Kindern sagte ausgerechnet der „unwinterlich“ gekleidete Knabe: „Pieds nus!“

Also radelte ich über normale Straßen zum Hauptbahnhof. Als ich am Bahnhofsvorplatz ankam, verfiel ich in Hektik. Ich holte eilig meine nicht-malo-konforme Kamera aus der Packtasche, um zwei an der Haltestelle vor dem Hbf. stehende Züge vor die Linse zu bekommen. Es waren ein gelbes „Citadis-Tram“ und ein grau-blauer „Avanto-Tram-Train“. Das Vorhaben gelang. Dann konnte ich ja weiter. Bis nach „Port Jeune“ schob ich mein Velo barfuß durch die Stadtstraßen parallel zu den Gleisen, da mir die Einbahnregelung das Fahren verbot. Dann aber radelte ich, immer den Gleisen der Linie 1 nach, vorbei am Polizeikomissariat, am 4radmuseum, Doller, Ratachement (damalige Endstelle) zur neuen Endhaltestelle Châteignier. Dann wieder zurück in die Innenstadt und den Gleisen der Linie 2 bzw. 3 (teilweise geschoben wegen Einbahnregelung) bis „Rond-point Stricker“. Ab und zu gab es merkwürdige Blicke.



Ab nun kann „Offtopic-Fahrzeug-Neuland“. Ich folgte der Tramstrecke, die parallel zur bestehenden Eisenbahnstrecke auf eigenem Trassee verlegt war, nach Dornach. Ab und zu ein Tram oder Tram-Train auf den neunen Gleisen oder ein Fernzug auf den alten Gleisen. Dann gab es parallel zu Gleisen keine Wege mehr. Ich kam am Eisenbahnmuseum vorbei, dann verließ ich mich auf mein Gefühl und gelangte tatsächlich zum Bahnhof Lutterbach, wo gerade ein Knabe in kurzen Hosen, aber mit Schuhen (und ohne Helm) Velo fuhr. Ein paar weibliche Teenager kicherten, als ich „schußbereit“ und barfuß auf ein Tram oder Tram-Train wartete. Es kamen sogar beide Sorten Zug. Ich wollte weiter entlang der Bahn, bog auf Sandwege ein, dann ging es aber auch nicht weiter. Also entfernte ich mich von der Bahn (hier benutzen Tram-Trains das normale Eisenbahngleis, ein extra Tramgleis wurde nur bis Lutterbach verlegt). Ich erreichte so die Stadt Wittelsheim, um von dort weiter nach Sennheim (frz. Cernay) zu radeln, wo ich „meine“ Bahnlinie wieder erreichte. Auch hier erwischte ich einen Tram-Train am Bahnhof mit meiner Kamera. Zwei alte Damen, die dem Zug entstiegen, blickten giftig auf meine Nichtschuhe.



Dann folgte ich einem Veloweg parallel zum Fluß Thur (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Fluß in der Schweiz) nach Thann, und zwar zuerst am dortigen Hauptbahnhof vorbei noch zwei Haltestellen weiter zum Endbahnhof der Tram-Train-Strecke. Ab hier verkehren nur noch Dieselzüge weiter nach Kruth. Ich sah sogar einen solchen abdieseln, leider nur aus Entfernung. Von der Existenz der Stadt Thann wußte ich vorher gar nichts. Umso erstaunter war ich, daß sie sogar sehenswert war:

http://de.wikipedia.org/wiki/Thann



Eine historische Altstadt mit Mauertürmen, einem Münster, einer alten Brücke über die Thur und einer Burgruine oberhalb der Stadt (und leider mit einem zu hohem 4rad-Verkehrsaufkommen in der Altstadt). Das Pflaster in der Altstadt war gut barfuß begehbar. Als ich eine Straße bergauf fuhr, riefen ein paar Männer: „Hopp Schwyz!“ Waren wohl Schweizer Touristen. Dort, wo die Straße aufhörte und in einen Schotterweg überging, stellte ich mein Velo an eine Mauer und ging zu Fuß weiter. Ich wollte zur Burgruine „Engelsburg“. Um nicht dem Schotterweg folgen zu müssen, ging ich einen Trampelpfad direkt den Berg hoch, zumindest einen Teil. Hier war der Boden angenehm zu begehen, allerdings lagen an einigen Stellen Bucheckern und sogar (das Tessin läßt grüßen) Maronis! Aber letztere hielten sich wirklich in Grenzen. Die Ruine selbst war barfuß gut begehbar. Allerdings lagen auch an einigen Stellen Scherben. Man merkt, daß Thann doch nicht in der (Deutsch-)Schweiz liegt. Eine Gruppe aus französisch sprechenden Erwachsenen, nicht gerade in Wanderkleidung (einige Männer sogar mit Anzug und Krawatte, einige Frauen auch in langen Kleidern, wie sie im Theater getragen werden, allerdings keine in Stöckelschuhen) kamen gerade von der Burg herunter. Es gab Gelächter, als ich ihnen begegnete, wobei das Gelächter vermutlich mit mir nichts zu tun hatte (ich hörte ein ähnlich klingendes Gelächter nämlich auch schon, bevor ich die Gruppe überhaupt gesehen hatte).



Ich ging einen weiteren Weg von der Burg hinunter in die Stadt und zum Velo. Dann radelte ich los, und zwar folgte ich dem Veloweg entlang der Thur flußabwärts. Hier begegnete ich übrigens den einzigen Barfüßern an diesem Tag (bzw. Wochenende). Zwei Kinder, beide mit schwarzer Hautfarbe, hatten sich ihrer Schuhe und Socken entledigt und schritten barfuß durchs Gras. Mit langen Hosen und langärmeligem Wollpullover waren sie doch deutlich winterlicher gekleidet als ich. Das Mädchen sagte strahlend: “Bon soir!“ Es ist mir in Frankreich noch nie passeiert, daß mich wildfremde Leute auf der Straße begrüßt haben, in der Schweiz und in etlichen Gegenden in Süddeutschland passiert es häufiger. Ich grüßte zurück mit den wenigen Wortbrocken Französisch, die ich kann.



Bald aber verschwand die Sonne hinter den Vogesen, so daß es abkühlte und ich eine Jacke anziehen mußte. Auch konnte ich nicht weiter der Thur folgen, denn diese führt nach Enisheim, wo ich gar nicht hin wollte. Als ich einen Velowegweiser Richtung Mülhausen sah, folgte ich diesem. Ich kam übrigens nach Pulversheim. Wohnen dort etwa all die intelligenten Leute, die das Pulver erfunden haben, nicht aber die dummen, die damit schießen? In der Stadt Wittenheim (nicht zu verwechseln mit Wittelsheim) wurde es so dunkel, daß ich Licht benötigte. Anfangs machte mir die Beleuchtung Schwierigkeiten, das hätte mir noch gefehlt, ausgerechnet in Frankreich und bei dem hier dichten Straßenverkehr. Immer wenn das Licht verlosch, mußte ich mit der Hand an die Unterseite des Dynamos greifen, dann brannte es wieder. So ging es etwa alle 3 Minuten, aber nach etwa 15 Minuten verlosch es nicht mehr. Umso besser!



Ich durchquerte Riedisheim und kam zu einer Kreuzung mit einer Kraftfahrstraße mit sehr dichtem Verkehr, hier mußte ich ewig an der Ampel warten. Nachdem ich endlich grün hatte, fuhr ich weiter. Nur noch wenige Meter, ich erreichte die Stadtgrenze zu Mülhausen, und noch ein paar Meter, ich erreichte die Endstation der Tramlinie 1. Jetzt konnte ich mich nicht mehr verfahren, die Gleise würden mich ins Stadtzentrum führen. Allerdings führten sie auch durch eine dunkle Straßen ohne viel Autoverkehr. Hier lungerten ein paar Jugendliche herum, sie redeten in einer Sprache, die ich weder verstand, noch mit französisch die geringste Ähnlichkeit hatte. Als ich vorbei fuhr, flogen ein paar Steine (oder wären es nur Klüten?). Mich traf übrigens keiner der Dinge. Ich glaube nicht, daß meine Barfüßigkeit/Kurzhosigkeit die Ursache war (das konnten die sicher im Dunkeln nicht sehen, mit meiner dunkelblauen Trainingsjacke fiel ich ja auch nicht auf). Es handelte sich vermutlich um Angehörige der sozialen Unterschicht mit einem erhöhten Potential an krimineller Energie. Allein die Tatsache, daß ich alleine im Dunkeln auf einem Velo unterwegs war (und nicht gerade eine Boxerfigur habe), keine Zeugen in der Nähe waren und in den Häusern vermutlich in erster Linie Leute der gleichen Abstammung wohnten, könnte die Ursache gewesen sein. Ortskundige Radfahrer und Fußgänger würden solche Straßen sicher meiden (es gab ja in einigen hundert Metern Entfernung eine Alternative mit viel Autoverkehr). Aber sieht man einer Straße am Anfang an, ob sich dort Gesocks aufhält. Und eines ist auch sicher: Wenn man sich in einer Straße bewegt und man sieht irgendwelche Leute irgendwo rumlungern, dann ist es besser, man fährt einfach dran vorbei. Völlig verkehrt wäre es, unmittelbar davor zu wenden und wegzufahren. So etwas kann von dem Gesocks gerade als „Einladung zum Angriff“ interpretiert werden. Hunde reagieren übrigens ähnlich, oder Polizisten, wenn man vor einer Stelle, wo Fahrzeuge überprüft werden, wendet und davonfährt.



Ich erreichte die Altstadt von Mülhausen, durch die ich mein Velo barfuß schob. Ich suchte eine geeignete Sitzgelegenheit, wo ich etwas verzehren konnte, fand aber keine. Ich fuhr zum Hauptbahnhof, dort fand ich eine geeignete Bank. Ich stellte mein Velo so vor die Bank, daß Passanten und Autofahrer von mir lediglich meinen Oberkörper sahen, während die Sicht auf Beine und Füße durch mein Velo mit Packtasche und Schlafsack versperrt war, Es war gegen 20 Uhr, also zu einer Uhrzeit, in der die Tatsache, mit dem Velo unterwegs zu sein und als Oberbekleidung eine blaue Trainingsjacke zu tragen, kein Grund ist, die Polizei zu rufen. Hätte ich es gegen Mitternacht gemacht, hätte es anders ausgesehen, denn um Mitternacht ist ein „normaler“ Mensch nicht mehr mit dem Velo unterwegs.



Danach radelte ich weiter durch verkehrsreiche Straßen, bis ich den Veloweg am Kanal erreichte. Hier war kein Autoverkehr, aber auch kein sonstiger Verkehr, so daß ich sicher vor unliebsamen Begegnungen mit Ordnungshütern war. Denn das wollte ich nicht, nicht einmal „liebsame“ Begegnungen. Ich war müde, brauchte einen Schlafplatz, wo ich im Schlafsack übernachten wollte. Ich wußte auch schon wo, nämlich in einem Waldstück am Kanalufer bei Kem(b)s. Bis dahin war es noch ein Stück. Ich fand den Platz, vor dem Wind geschützt. Es gab eine kalte Nacht, mein Schlaf war unruhig. Mein Plan war, am nächsten Tag in Richtung Basel zu fahren, um den Quellen von St. Chrischona nachzusäckeln, bevor ich wieder nach Zofingen wollte.



Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

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